Klarinette: Geschichte

Alter der Klarinette - hängt ab von...

Als ich (ein deutscher Hobbyklarinettist mit klassischer Musikausbildung und Europa-zentrierter Weltsicht) in den 1990er Jahren mit dieser Klarinettenseite begann, schrieb ich voller Überzeugung und auch nicht ohne gute Gründe auf der Seite "Geschichte der Klarinette":

Die erste Klarinette wurde vom Instrumentenmacher Denner in Nürnberg um das Jahr 1700 erfunden, gebaut und der Welt vorgestellt. Klarinetten gibt es also etwas länger als 300 Jahre. Sie war eine revolutionäre Neuerung auf Basis des Chalumeaux. Das Chalumeaux war aber kein echter Vorfahr, denn auf dem Chalumeaux konnte man nur ein Register spielen, nur 10 Töne insgesamt, man konnte nicht überspielen und es stimmte praktisch nicht. Es war also keine primitive Klarinette im eigentlichen Sinne. Nach der Überarbeitung von Denners Erfindung durch Iwan Müller kam mit Mozart der Durchbruch.

Später übersetzte ich die Webseite ins Englische und stellte auch diese Version ins Netz. Und dort lasen sie dann Iraner, Türken, Ägypter und Chinesen - und in den folgenden Jahren bekam ich jede Menge emotionaler und manchmal sogar wütende Zuschriften aus verschiedenen Ländern, die mir ein deutsch-zentriertes Denken vorwarfen und behaupteten, dass in ihrem Land bereits seit Jahrtausenden Klarinetten-Instrumente existierten, die schon zur Ägyptischen Zeit alles an Musik spielen konnten, was es gibt. Sie lieferten Beispiele und ich sah/hörte mir die Youtube-Videos an. Grundsätzlich bin ich heute immer noch der Überzeugung, dass meine ursprüngliche Aussage korrekt ist, aber nur im engeren Sinne und nur mit Blick auf Europäische Musik. Aber auch die Asiaten haben Recht. Die Antwort auf die Frage nach der ersten Klarinette hängt einfach stark davon ab, wie man eine Klarinette definiert und was für einen Stil von Musik man erwartet - und damit meine ich nicht die Alternativen Klassik/Rock, denn die sind vom Musiksystem und der Harmonie praktisch gleich, sondern Pentatonik, Türkische / Arabische Musik und europäische Klassik. Damit wird dieser Artikel etwas länger.

Wann ist eine Instrument eine Klarinette und was hat das mit Tonleitern zu tun?

Es gibt keine ganz einfache Antwort auf die Frage, die jeder akzeptieren würde. Der Grund dafür liegt in den verschiedenen Definitionen der Begriffe, um die es dabei geht: Blasinstrument - Klarinette - Tonleiter. Lasst uns - und nur für den Zweck dieser Diskussion - folgendes annehmen:

Das älteste gefundene Holzblasinstrument

Es gibt recht deutliche Beweise für sehr alte Instrumente. Deren Alter lässt sich mit der c14-Methode recht gut feststellen. Vermutlich waren die ältesten Blasinstrumente Flöten. Menschen fanden früh heraus, dass man auf einem Rohr (wie auf einer Flasche) einen Ton erzeugen kann, wenn man über den Rand bläst. Dabei erklingt aber immer nur ein Ton. Um Melodien aus mehreren Tönen zu spielen braucht man mehrere Rohre. Für einen einzelnen Spieler müssen die Rohre am besten mit den Öffnungen nebeneinander verbunden werden - das ergibt eine Panflöte, ein schon recht ernstzunehmendes Instrument, das in der Volksmusik Südeuropas und auch der Anden noch heute eine wichtige Rolle spielt.

Irgendwann in der Steinzeit fand man wohl heraus, dass man alternativ auch Tonlöcher in ein solches Rohr bohren kann, und dann nur noch ein Rohr braucht. Es dauerte vermutlich etwas, bis man wusste, wo genau die Löcher sein müssen. Das hängt vom Durchmesser des Rohres ab, das meist aus Rohrgras (ähnlich Bambus) waren oder aus Knochen. Als man die richtige Lage der Löcher erst mal im Griff hatte, war es vermutlich ein erster Durchbruch für die Instrumentalmusik. Eine kleine Flöte kann jeder mit sich herumtragen, eine Panflöte ist viel unhandlicher. Die älteste heute bekannte Flöte dieser Art (Stand: 2005) stammt aus Baden-Württemberg, sie wurde aus einem Schwanenknochen hergestellt und ist etwa 35.000 Jahre alt:

Bild: Floete Schwanenknochen, 35.000 Jahre alte

Diese kleine Flöte ist recht sauber pentatonisch gestimmt. Das ist wahrscheinlich kein Zufall und spricht dafür, dass es schon vor 35.000 Jahren ein klares Tonsystem gab. Pentatonik ist auch heute noch ein in der Welt weit verbreitetes System (z.B. in der chinesischen Musik). Ein Tonsystem braucht man aber eigentlich nur, wenn mehrere Musiker zusammen spielen müssen - gab es also schon in der Steinzeit in Baden-Württemberg, genauer in Blaubeuren, Holzblas­ensembles? Vermutlich müssen wir uns an diesen Gedanken gewöhnen. Gemeinsam Musik zu machen scheint weniger ein exklusives Hobby der Neuzeit zu sein als vielmehr zum Menschsein dazuzugehören.

Evolution der Instrumente

Es ist wahrscheinlich, dass sich alle Instrumente schrittweise aus sehr einfachen Vorgängern entwickelt haben. Die meisten dieser frühen Vorfahren gab es schon bei den Sumerern und Ägyptern, später in Persien, Arabien und Indien: Flöten, Oboen, Blechblasinstrumente, Saiteninstrumente, Schlagwerk.

Im Laufe der Jahrhunderte gabe es neue Erfindungen und Verbesserungen, die sich verbreiteten und die alten Instrumente ersetzten, ohne aber den grundsätzlichen Charakter zu verändern: Eine Flöte in Persien mag technisch viel fortgeschrittener und besser gewesen sein als die aus der Steinzeit, und eine Querflöte heute ist im Vergleich schon fast perfekt, aber sie bleibt weiterhin eine Flöte. Auf antiken Abbildungen von Palastorchestern erkennen wir die heutigen Nachfahren sofort wieder, schon an der Haltung der Musiker, die fast völlig der der heutigen Künstler entspricht.

Trotz Weiterentwicklung der Instrumente gab es immer - genau wie bei der natürlichen Evolution - Nischen, wo sich die alten Formen halten konnten: In abgelegenen Gegenden, auf Inseln. Bei Instrumenten gibt es darüber hinaus kulturelle Inseln: In der Folksmusik entlegener Gebirgstäler, aber noch stärker in religiösen Zeremonien hält sich Musik (und übrigens auch Sprache wie zum Beispiel Latein, Hebräisch oder Sanskrit) Jahrtausende nahezu unverändert, ebenso natürlich auch die Instrumente sehr lange in der Urform, und dort klingen sie auch noch wie die Originale.

Kandidaten für erste Klarinetten

Die antiken Sumerer und Ägypter kannten zwei Arten von Instrumenten mit zylindrischem Rohr, einfachem Rohrblatt und normalerweise 6 Tonlöchern: Zummarah und Arghul. Heute werden sie noch verbreitet in der Volksmusik im Mittleren Osten verwendet und sehen sehr ähnlich aus wie die auf den sumerischen, ägyptischen und griechischen Bildern. Es handelt sich um einfache Instrumente aus zwei zylindrischen Tonrohren, bei denen die "Blätter" aus dem Rohr selbst ausgeschnitten werden, oder aus einem anderen Rohrstück, das als Mundstück verwender wird. Im vergrößerten Teil des obigen Bildes mit dem "Mundstück" ist zu sehen, dass das Rohrblatt "verkehrt herum" ist, d.h. die Spitze nicht in den Mund zeigt.

Zummara

Beim Zummara sind zwei fast identische Rohrblatt-Instrumente zusammengefügt, die nur leicht gegeneinander verstimmt sind. Dadurch klingt das Instrument voller, aber auch schärfer.

Pic: Etruscan Aulos, a double-oboe
Zummara - antikes Blasinstrument, heute noch gespielte Form (Ausschnitt: das Blatt)

Die modernen Spieler stecken das ganze Mundstück vollständig in den Mund; sie berühren das Rohr nicht mit ihren Lippen, um es zu kontrollieren. Beide Rohre werden aneinander gebunden und verklebt. Dies löst das Problem mit der begrenzten Anzahl von Tonlöchern, die ein Spieler mit einer Hand schließen könnte:

Der Spieler kann die nebeneinander liegenden Tonlöcher mit einem überlappenden Finger über beide Röhren schließen - siehe Video.

Arghul

Das andere Instrument mit einfachem Rohrblatt heißt Arghul und hat eine lange Drohnen- oder Bordunpfeife, also eine permanent bassklingende Pfeife, und eine kurze Melodiepfeife (Sängerpfeife), ähnlich wie ein Dudelsack. Nur die Sängerpfeife hat Tonlöcher.

Bild: Arghul, ein Doppelrohr-Instrument mit Bordun und Melodie-Pfeife
Arghul - ein Doppelrohr-Instrument mit Bordun und Melodie-Pfeife

Nicht nur wegen der Drohne, sondern auch wegen der akustischen Beziehung ähnelt der Klang sehr stark dem eines Dudelsackes. Aber während der keltische Dudelsack mit einem Windbeutel dauerhaft spielt, haben der indische Schlangenbeschwörer und die Chinesen dafür einen runden, hohlen Pflanzenkörper von der Größe einer Kokosnuss, während der Spieler der alten Instrumente die Zirkularatmung (Aufblasen der Wangen und nachatmen durch die Nase beim Spielen) verwenden musste. Dies ist auch auf 3000 Jahre alten Bildern deutlich zu sehen und ist immer noch die Praxis - siehe dies Video eines modernen Arghul.

Keine Klarinetten im engeren Sinn

Aufgrund der zylindrischen Bohrung erzeugen diese eher kurzen Instrumente einen Ton eine Oktave tiefer als eine gleich große Flöte. Sie werden manchmal "arabische Klarinetten" genannt, aber genau genommen sind sie keine Klarinetten, weil sie

  1. nicht überblasen werden können, also in ein höheres Register springen
  2. keine ununterbrochenen Skalen spielen können

... und arabisch sind sie ebenso nicht, denn vor über 3000 Jahren sprach man im Nahen Osten und auf der arabischen Halbinsel vor allem Aramäisch, und aufgrund des feuchteren Klimas gab es kaum Wüstennomaden. Die Bezeichnung "arabische Klarinette" passt aber insoweit, als sie in der Region, die heute von Arabisch sprechenden Menschen bewohnt wird, verbreitet ist.

Mit den frühen Flöten konnte man jede beliebige, auch moderne Melodie spielen, je nach Stimmung pentatonisch oder europäischer Tonleiter, auch über mehrere Oktaven. Das haben sicher auch Musiker vor 4000 Jahren mit ihren Modellen beherrscht.

Zumarrah und Arghul konnten das aber nicht, was jedoch zumindest heute in der indischen, persischen und arabischen Volksmusik überhaupt kein Problem ist: Die Tonleitern in der orientalischen Musik sind völlig anders als unsere westlichen, die Musik verwendet eher sehr dicht liegende Zwischentöne. Melodien im westlichen Sinne gibt es dort nicht - auch nicht im Gesang. Es werden mit entsprechender, für uns sehr komplex wirkender Harmonik bestimmte Töne umspielt. Natürlich machen die Musiker viel Gebrauch von Gabelgriffen, teilweise abgedeckten Tonlöchern und Ansatzkorrekturen. Ob die Musiker vor 4.000 Jahren diese Form von Musik kannten, ist natürlich unklar, aber sicher hätten sie die Methoden auch anwenden können.

Pentatonisch orientierte Musiker, das sind heute vor allem die Asiaten, zum Beispiel die Chinesen, haben ihrem Instrument, das dem Arghul entspricht, ein Überblas-Tonloch hinzugefügt, so dass sie mehrere Oktaven präzise spielen können. Sie können das auch deshalb, weil es auf der pentatonischen Tonleiter wesentlich weniger Töne pro Oktave gibt. Ihr Instrument erfüllt also schon voll die Definition der Klarinette, und es klingt auch so ähnlich. Das Überspielen scheint aber erst eine neue Entwicklung zu sein, möglicherweise auch nachdem die asiatischen Instrumentenbauer bei europäischen Instrumenten gesehen haben, dass und wie einfach es geht, und vielleicht auch, um die Musik der Europäer nachzuspielen. Diese Form der Exotik, westliche Musik und Tanz zu imitieren, war schon vor tausend Jahren in China sehr angesagt, es gibt berühmte Gedichte darüber.

Europäischer Kandidat für die erste Klarinette: Das Chalumeau

Es gibt noch einen Kandidaten, der Eigenschaften früher Klarinetten hatte: Das Chalumeau (sprich: Schalümoh). Der Name kommt aus dem Griechischen/Lateinischen von Calumos = Rohr. Das Chalumeau wurde im Deutschen auch Schalmei genannt.Es hatte ein einfaches Rohrblatt, ein zylindrisches Rohr mit Tonlöchern, und es konnte eine Tonleiter spielen, es klang voll und dunkel wie das unterste Register der heutigen Klarinette (das deshalb auch Chalumeau-Register heißt).

Das Chalumeau hatte aber nicht die Rolle der heutigen Klarinette, also als flexibles, brillantes Orchesterinstrument. Es war ein Hirteninstrument und wurde fast immer solo, also allein ohne Begleitung, gespielt. ("Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder, es spielet der Hirte auf seiner Schalmei..."). Nicht verwechseln mit anderen Instrumenten, die auch Schalmei heißen, und in die Familie der Oboen gehört, und daneben noch ein mehrrohriges metallenes Instrument.Das Chalumeau eignete sich nicht für symphonische Musik, weil es schlecht stimmte und nicht in die obere Oktave überblasen konnte.

Leider sind keine gut spielfähigen Chalumeaus mehr erhalten; aber es gibt Bilder davon und Beschreibungen. Sie haben in etwa so wie eine Blockflöte ausgesehen und müssen so ähnlich wie die untere Oktave der heutigen Klarinette geklungen haben. Man weiss, dass man damit nur um die neun Töne (das untere Register der heutigen Klarinette) spielen konnte.

Was war das Problem des Chalumeau?

Wenn man versuchte, das Chalumeau zu überblasen, dann sprang der Ton nicht um eine Oktave, sondern um eineinhalb Oktaven höher. Um 1700 experimentierte Denner mit dem Instrument. Er verstand als erster die Ursache des Problems und fand auch eine praktische Lösung dafür: Die Akustik einer solchen Pfeife erlaubt keinen Oktavsprung, man muss deshalb gar nicht erst versuchen, eine Oktavierung mit dem Instrument hinzubekommen, sondern einfach die fehlenden Tonlöcher für den Sprung in den zwölften Ton hinzuzufügen und das Instrument auszustimmen. Damit war die Klarinette praktisch um 1700 "erfunden".

Dabei entstehen drei Probleme:

  1. Wenn man eine Tonleiter auf einem Instrument wie der Blockflöte spielt, gibt es sieben Tonlöcher für die untere Oktave (C bis H), und dann ein Oktavloch bzw. Überblasloch. Das Öffnen eines Oktavlochs dient dazu, dass die Töne, die man dann greift, genau eine Oktave höher klingen. Das lernt man schnell. Bei der Klarinette ist es komplizierter, das hohe c greift man anders als das tiefe C. deshalb lernt man das Instrument am Anfang langsamer.
  2. Die Löcher und ihre Abstände für die obere und die untere Oktave sind bei Blockflöten genau die gleichen. Bei der Klarinette ist das aber anders: hier liegt nicht ein c über einem C. Und folglich sind die Tonlochbohrungen im Durchmesser nicht ganz gleich, nicht ideal und bei Stimmfehlern muss man komplizierte Ausgleichsmaßnahmen treffen.
  3. Um die Lücke zwischen der unteren Oktave und der oberen zu schließen und eine volle Folge von Tonleitern ohne Unterbrechung zu spielen, braucht man nicht nur 7 Tonlöcher wie bei der Blockflöte, sondern eben 11. Wir haben aber nur 10 Finger, also braucht man mindestens 2 Klappen (einen Finger, den rechten Daumen, benötigt man, um das Instrument zu halten). Zu Dennerst Zeiten waren gute Klappen noch extrem selten, er musst also auch praktische Lösungen völlig neu erfinden.

Erfindung der Klarinette: 1700

Johann Christoph Denner hatte es also nach Experimenten mit dem Chalumeau geschafft, ein Instrument zu bauen, mit dem er alle drei Probleme ganz brauchbar gelöst hat.

In letzter Zeit wird diskutiert, ob es eventuell (auch) andere Erfinder der Klarinette gab. Dafür gibt es aber bisher keine gesicherten Anhaltspunkte. Es wird also weiterhin angenommen, dass es Denner war, der das Instrument erfand. Nur über ihn existiert ein kurz nach der Erfindung erscheinender namentlicher Hinweis - möglicherweise stammen wesentliche Leistungen auch von seinem Sohn und Nachfolger Jacob Denner. Daneben war er der wesentliche Holzblas­instru­menten­bauer dieser Zeit in Nürnberg.


Holzschnitt: Darstellung der Klarinette um 1740

Holzschnitt: Darstellung der Klarinette um 1740


Die Beschreibung oben erschien um 1740, sie spricht von "Beginn dieses Seculi" (also Beginn des Jahrhunderts - das wäre 1700). Das Bild einer echten Dennerklarinette von 1740 aus dem Belgischen Museum habe ich eingefügt. Inhaltlich ist die Beschreibung übrigens wirklich gut - alles Wesentliche ist drauf! Die zwei Klappen sind "Daumen-Schloss" und "Zeigefinger-Schloss" genannt; um sie beide zu zeigen, hat der Künstler das Bild von schräg vorn gezeichnet (der heutige Fotograf in Belgien war leider nicht ganz so pfiffig, darum sieht man die Daumenklappe nicht). Das Blatt war damals auf die Vorderseite aufgebunden, das zeigt das Bild übrigens korrekt, das war damals noch üblich. Die Grifftabelle entspricht auch heutigem Standard. Mit dieser Klarinette dürfte man schon so ziemlich alles spielen können - es fehlt nur das tiefe E. Die Gabelgriffe dürften auch auf einer heutigen Klarinette funktionieren, am fis und f sieht man, dass die Bohrungen noch nicht optimal waren. Anders als heute: Erst ab dem "a" verwendete man den Violinschlüssel.

Auch wenn diese ersten Klarinetten noch sehr einfach waren und nur zwei oder drei einfache Klappen hatten, sie hatten den größeren Tonumfang der Klarinette, größer als jede Oboe oder Trompete. Daneben konnte man wohl schon verhältnismäßig laut darauf spielen, und technisch komplizierte Läufe ausführen. Man ersetzte mit dem neuen Instrument zuerst die hohen Trompeten, die sogenannten "Clarini". Daher dürfte sich auch der Name "Clarinett" ableiten.

Die Klarinette schließt die Lücke im Bläsersatz

Das Instrument war eine Sensation und verbreitete sich ungeheuer schnell, denn es schloss eine Lücke im Holzbläsersatz (zwischen Oboe und Fagott). Es hat als Soloinstrument einen wesentlich angenehmeren und vielseitigeren Klang als die bis dahin führende Oboe (das ist natürlich eine Geschmacksfrage, aber es scheint beim breiten Publikum so angekommen zu sein). Deshalb eignet sich die Klarinette auch so gut für längere Solostellen. Vivaldi schrieb bereits 1740 drei Concerti grossi, und Händel komponierte 1748 eine Ouvertüre, wo er Klarinetten in d einsetzte.

Im Orchester in Mannheim gab es um 1760 bereits dauernd zwei Klarinettenstimmen, wobei diese Musiker gleichzeitig noch Oboisten waren. Ab 1778 waren es "volle" Klarinettisten. Kurz danach schrieb Mozart bereits seine ungeheuer anspruchsvollen Klarinettenwerke, unter anderem das berühmte Konzert in A für Bassettklarinette. Zu der Zeit hatten Klarinetten maximal fünf Klappen, kaum vorstellbar, dass man solche Stücke damit spielen konnte, aber es muss gegangen sein; denn die Kritiker waren begeistert.

Die Weiterentwicklung über 300 Jahre

Die Weiterentwicklung der Klarinette nach Denner gleicht einer Evolutionsgeschichte - und ergibt einen Stammbaum, vergleichbar mit dem der biologischen Evolution von Lebewesen oder technischen Entwicklungen, mit Aufspaltungen, Querwirkungen und Sackgassen. Unter dem Aspekt der verschiedenen Systeme, vor allem dem deutschen System und dem Boehmsystem, gibt es ein eigenes Kapitel dazu.


Bild: Stammbaum Klarinetten

Stammbaum Klarinetten - stark vereinfacht


ca. 1800: Iwan Müllers Klappen

Iwan Müller war ein deutscher (im heutigen Russland geborener, deshalb auch oft als Russe bezeichneter) Klarinettenvirtuose und Instrumentenbauer, der die Klappenmechanik revolutionierte.

Die alten Klappen hatten eine einfache Kipp-Mechanik und ein Filzpolster, das solange es trocken war, nie wirklich perfekt schloss.


Bild: Alte Filzklappe

Filzklappe an Klarinette um 1740


Löffelklappe, versenktes Tonloch

Löffelklappe, versenktes Tonloch

Müller entwickelte die Löffel-Klappe mit Lederpolster und versenkten Löchern mit erhabenem, konischen Ring, dem Zwirl, wie sie heute üblich sind. Insgesamt hatte Müllers Klarinette 12 Klappen.

Daneben veränderte Müller das Blatt bis nahe in seine heutige Form und entwickelte die Blatt­schraube. Leider akzeptierte das Pariser Konservatorium seine Entwicklungen im Jahr 1812 nicht, weil man dort glaubte, dass eine chromatische Klarinette, also eine, die jede Tonart spielen kann, den spezifischen Charakter der unterschiedlichen Klarinetten zerstören würde (was ja stimmt - heute klingen A und B-Klarinetten fast gleich). Man war überzeugt - und viele Menschen sind es ja noch heute - dass auch einzelne Tonarten einen bestimmten Charakter haben, und dieser erhalten bleiben müsse.

ca. 1850: Klosés Instrument (Boehm) setzt sich in Frankreich durch (und dann in der Welt)

Kurz danach brachte der deutsche Flötenbauer Theobald Boehm zwei Verbesserungen in den Instrumentenbau: Zum einen schaffte er eine mathematische Grundlage zur perfekten Berechnung der Position für Tonlöcher, und zum anderen erfand er die Ringklappe. Die Ringklappe ermöglicht es, ein Loch zu schließen, das größer ist als der Finger, wobei der Finger genau auf der Ringklappe liegt.

Auf dieser Basis hatte der Franzose Hyacinthe Klosé das "Boehm"-Klarinettenmodell entwickelt, das sein Instrumentenbauer Buffet 1839 baute. Klosé hatte es geschickter angestellt als Iwan Müller, sein Instrument wurde von der Pariser Akademie akzeptiert und wird heute in der ganzen Welt (mit Ausnahme Deutschlands und Österreichs) gespielt.

Nach 1860 - Baermann, Sax, Oehler: Deutschland verfolgt einen eigenen Weg

In Deutschland wurde das Boehm-System nicht übernommen, sondern das Müller-System verbessert.Eine Gegenüberstellung der beiden modernen Systeme (und weiterer) findet sich hier.

1860 wurde die Müller-Klarinette von C. Baermann (von dem auch die bekannte Klarinettenschule stammt), überarbeitet. Einen großen Anteil an der Entwicklung des deutschen Systems hat auch der berühmte Adolphe Sax, der belgische Erfinder des Saxophons. Das heute in Deutschland - unter Profis wie ernsthaften Amateuren - verbreitetste System ist eine deutsche Klarinette mit Oehler-System, das auf Oskar Oehler zurückgeht, einen Berliner Instrumentenbauer um 1900. Charakteristisch ist die Resonanzklappe am Trichter. Diese Form der Klarinette hat 22 Klappen und 5 Ringe.

Beide Systeme, Boehm und Deutsch, sind heute im wesentlich gleichwertig, wenn auch im Klang und der Spieltechnik unterschiedlich. Dadurch entstehen Probleme für Komponisten und Spieler, wenn sie Stücke für das jeweils andere System schreiben oder spielen müssen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass gute Komponisten sich mit den Stärken und Schwächen aller Instrumente auseinandersetzen; für die sie komponieren, und das hört nicht mit dem Tonumfang auf. Wenn man aber dummerweise gerade das andere System spielt, kann es manchmal grifftechnische Probleme auf einem System geben, die dann mit dem ursprünglich vorgesehenen vielleicht ganz leicht gehen. Noch gravierender ist neben dem Unterschied im Klang das vom nicht-deutschen Komponisten als selbstverständlich angenommene Vibrato, das wir deutschsprachigen Klarinettisten nur selten lernen und beherrschen (siehe hierzu das Kapitel Klang). Ohne Vibrato klingen aber Kompositionen, die das erwarten, sehr merkwürdig - meist etwas langweilig.

Deutsches System auf Rückzug: Der Preis...

Das Deutsche System hat heute vor allem einen gravierenden, objektiven Nachteil gegenüber Boehminstrumenten: Bei qualitativ vergleichbaren Instrumenten ist eines mit Boehm System oft deutlich (zwischen 30% und 50%) preisgünstiger als eines mit Oehler-System. Das liegt vor allem an dem größeren Markt mit den viel höheren Stückzahlen für die Hersteller. Sicher gibt es auf der Profi-Instrumenten-Seite deutsche Manufakturen, an deren Innovationsfähigkeit und Qualität sonst niemand heranreicht, aber das ist für die Mehrheit von uns leider eher uninteressant; denn wer kann schon diese Preisunterschiede ignorieren?

Da der Klang der modernen Instrumente (ob Boehm oder Oehler) sich immer mehr angleicht, eher am Spieler als am System seines Instruments liegt und die ganze Angebotspalette der Instrumentenbauer überall auf der Welt angeboten wird, fangen vor allem die deutschen Amateure an, umzudenken. Sie kaufen immer öfter Boehminstrumente. Der Autor kann sich vorstellen, dass es der Preisunterscheid ist, der auf sehr lange Sicht das Aus für das Deutsche System bedeuten kann. Nur im klassischen Profibereich - hier muss man in der Regel das System der anderen Klarinettisten im Ensemble verwenden, und das ist durchgängig deutsch - werden sich die deutschen Systeme der Top-Instrumentenbauer noch sehr lange halten können.

Den europäischen Horizont erweitern...

Während ich das hier schrieb, wurde mir klar, dass zumindest mein Verständnis von Musikgeschichte, die wohl für Blasinstrumente eher ausserhalb Europas stattfand, sehr begrenzt ist. Ja, die europäische Klassik war kommerziell erfolgreich, aber im Vergleich zum Rest der Musik ausgesprochen schlicht gestrickt. Es ist faszinierend, sich etwas mit der Fülle der Musik anhand von Beispielen (zum Beispiel auf Youtube) zu beschäftigen - auch wenn man vielleicht kein Wort versteht, was die Leute da sagen (wer kann schon Chinesisch oder Türkisch), wird einem schlagartig klar, dass unsere Musikwelt nur einen kleinen Ausschnitt vom Ganzen darstellt.

Über den eher dummen Spruch von "Musik ist die Sprache die jeder Mensch versteht" kann man nach spätestens 10 Minuten Youtube aus Zentralasien, Südamerika oder Afrika nur herzlich lachen.